Was ist das, was verspricht es
Unter „Telemedizin“ versteht man im Allgemeinen die Erbringung medizinischer Leistungen über räumliche Entfernung mittels Kommunikationstechnologie. In Wirklichkeit gibt es zwei Arten von Telemedizin: die synchrone und die asynchrone Telemedizin.
Die synchrone Telemedizin findet in Echtzeit statt (ein Videotelefonat zwischen Patient und Ärztin zum Beispiel, oder ein Arzt der Notaufnahme, der eine Expertin für Schlaganfälle aus der Ferne konsultiert). Ein klassisches Beispiel für asynchrone Telemedizin ist dagegen das sogenannte „Teilstreckenverfahren“, eine Technologie, die es erlaubt, die Patientendaten zu sammeln und sicher in eine Cloud zu übertragen, zu der andere autorisierte Nutzer:innen jederzeit Zugang haben (etwa Portale, die Patient:innen und Ärzt:innen und letztgenannte mit anderen Ärzt:innen verbinden); oder Chatbots, die automatisch antworten und ein Gespräch mit einem Menschen simulieren. Aber auch Geräte zur Patientenfernüberwachung werden als asynchrone Telemedizin betrachtet.
Die Telemedizin hat zweifellos viele Vorteile gegenüber dem traditionellen Arztbesuch. Sie ist schneller, günstiger und erlaubt in bestimmten Fällen eine bessere Behandlung. Es sind zwei Gegebenheiten, die den Zugang zu ärztlicher Versorgung am meisten und besonders drastisch einschränken, und zwar die Entfernung und Behinderungen. Gerade für den gefährdeten Teil der Bevölkerung, insbesondere ältere und chronisch kranke Menschen, ist es von großem Nutzen, sich nicht ins Krankenhaus oder in die Arztpraxis begeben zu müssen. Ganz zu schweigen davon, dass die Telemedizin praktisch ist. Man hat ausgerechnet, dass in den USA Patient:innen im Durchschnitt zwei Stunden für einen Arztbesuch brauchen, von denen jedoch nur zwanzig Minuten der Untersuchung dienen. Den Rest nehmen die Anfahrt und die Wartezeit ein.
Aus Patientensicht
Es gibt einen „praktischen“ Teil des traditionellen Arztbesuchs, der sicher eine wichtige Funktion hat, aber nur ein Element des Ganzen ist. Viele Ärzt:innen haben festgestellt, dass die Patient:innen sehr viel mehr beteiligt und (vor allem) sehr viel weniger gestresst sind, wenn sie auf Telekonsultationen zurückgreifen.
In dieser Hinsicht verspricht die Telemedizin, einen wichtigen Platz in der klinischen Praxis zu erhalten. Eingebettet in eine ganze Reihe von Behandlungsparadigmen könnte sie das Potenzial haben, die Ergebnisse zu verbessern und die Menschen dazu bringen, sich lieber an ihre Ärzt:innen zu wenden, als die Notaufnahme aufzusuchen.
Bei der Bewertung der Auswirkungen auf die Patient:innen darf jedoch die digitale Kluft nicht vergessen werden, das heißt, der ungleiche Zugang zu Kommunikationstechnologie und schnellem Internet und die geringere digitale Alphabetisierung vor allem älterer Menschen und sozio-ökonomisch benachteiligter Bevölkerungsgruppen. Es besteht das konkrete Risiko, dass die Telemedizin die Barrieren zwischen den Menschen und der medizinischen Versorgung nicht niederreißt, sondern die Ungleichheiten vergrößert.
Aus Arztsicht
Durch die virtuellen Arztbesuche können die Ärzt:innen Informationen erhalten, die sie sonst nicht bekommen würden, zum Beispiel eine Vorstellung vom häuslichen Umfeld eines Patienten (das wichtige Hinweise auf seinen Gesundheitszustand geben kann), außerdem erleichtern sie Erklärungen und Informationsaustausch (eine Patientin kann den Flakon eines Arzneimittels zeigen, an das sie sich nicht erinnert).
Doch bergen Videosprechstunden auch Risiken, zum Beispiel, dass die Patient:innen in gewisser Weise unabhängig von der Einschätzung der Ärzt:innen werden, was dazu führen könnte, dass sie sich selbst behandeln, mit den entsprechenden Risiken, vor allem unter klinischen Gesichtspunkten. Eine weitere Gefahr ist, dass die Arzt-Patient-Beziehung mehr auf der Analyse von Daten als auf der objektiven ärztlichen Untersuchung in Anwesenheit, mit Abtasten, Abhören etc. beruht.
Auch Eric Topol, der Leiter des Scripps Research Translational Institute ist überzeugt, dass der plötzliche Wettlauf um die „Virtualisierung“ die Gefahr birgt, die Qualität der medizinischen Versorgung zu verschlechtern. „Sie ist günstig und praktisch, wird aber niemals einer körperlichen Untersuchung gleichkommen, bei der alle menschlichen Qualitäten wie Verstand und Kommunikation im Spiel sind.“
Die Kosten, und wer bezahlt
Man kann nicht über Telemedizin sprechen, ohne auch einen weiteren Vorteil zu erwähnen, den sie zumindest potenziell hat, und zwar die Kosten. Telemedizin kann nicht nur helfen, unnötige Besuche der Notaufnahme zu vermeiden, es gibt noch weitere Kosten, die mit der Sprechstunde „in Anwesenheit“ verbunden sind, wie Laboruntersuchungen oder Elektrokardiogramme, die möglicherweise überflüssig sind und während einer Video-Sprechstunde nicht zum Einsatz kommen.
Die Einsparungen vonseiten der Gesundheitsdienste könnten sich aber direkt auf die Nutzer:innen auswirken, die nicht umhin kommen, sich die nötige Ausstattung zuzulegen, um für diese neue Art von Interaktion gerüstet zu sein, und in Kenntnisse und technologische Geräte investieren müssen, ohne die sie unvermeidlich zurückbleiben würden.
Datenschutz
Wenn es um Telemedizin geht, gilt die erste Sorge fast immer dem Datenschutz und der Sicherheit der Patient:innen, ein Thema, das medizinischen Fachkräfte, die Verbraucher:innen und die Politik beschäftigt.
Die heute genutzten Plattformen wurden nicht unbedingt für die Kommunikation medizinischer Daten entwickelt, deswegen scheint es unerlässlich, spezielle Plattformen zu verwenden.
Die Aussichten
Die Frage aller Fragen ist, was mit der Telemedizin in den nächsten Jahren passieren wird, jetzt, da wir die Pandemie hinter uns haben, die ihren Gebrauch enorm gesteigert hat, und wir gelernt haben, mit dem neuen Coronavirus zu leben.
Heute und in Zukunft müssen die neuen Möglichkeit, die die Telemedizin bietet, in das derzeitige Gefüge von Therapie und Gesundheitsversorgung integriert werden, während gleichzeitig die Art, wie die Menschen medizinisch betreut werden, erneuert und die wohnortnahe Versorgung ausgebaut wird. Unter diesen Voraussetzungen ist es wahrscheinlich, dass die ambulante medizinische Versorgung die zentrale Rolle der Krankenhäuser übernehmen wird, die sich um spezifische Untersuchungen und Behandlungen kümmern werden.