Choosing Wisely: die Erfahrungen in Kanada

Wendy Levinson, Chair of Choosing Wisely Canada & International – Professor of Medicine, University of Toronto


Zu welchem Zweck entstand Choosing Wisley?

Choosing Wisely möchte einen Dialog zwischen ÄrztInnen, Fachleuten des Gesundheitswesens und PatientInnen anregen sowie eine Diskussion über Tests, Untersuchungen und unnötige Behandlungen in Gang setzen, um den Patientinnen und Patienten zu helfen, die richtigen Entscheidungen für eine hochwertige Gesundheitsversorgung zu treffen. Viele Jahre lang befolgte man den Grundsatz, je mehr Tests und Behandlungen, umso besser. Aber die PatientInnen wissen oft nicht, dass „mehr“ in der Gesundheitsversorgung nicht immer gleichbedeutend ist mit „besser“, denn Tests können auch Schaden anrichten, anstatt zu helfen. Wir möchten den Dialog fördern und diese Themen mit PatientInnen und Fachleuten des Gesundheitswesens diskutieren.

Welche Ergebnisse wurden bisher erzielt, und was sind die nächsten Ziele?

Zu Beginn hat Choosing Wisely in den USA, in Kanada und in Italien Listen von Tests und Behandlungen erstellt und von den ÄrztInnen ausfüllen lassen.Zu unnötigen Tests und Untersuchungen gibt es hervorragende wissenschaftliche Evidenzen, die klar zeigen, dass sie den PatientInnen keinen Nutzen bringen oder sogar Schaden anrichten können. Jetzt müssen diese Empfehlungen in die Praxis umgesetzt werden.

Welche Auswirkungen hat Choosing Wisely?

In einigen Ländern ist es noch zu früh für eine Beurteilung. Wir müssen erst einmal das Verhalten von ÄrztInnen und PatientInnen beeinflussen, damit sie anfangen zu verstehen, wie wichtig es ist, über unnötige oder sogar schädliche Tests und Behandlungen nachzudenken und zu diskutieren. Aber ich denke, das werden wir hinkriegen. In 18 Ländern weltweit sind medizinische Verbände bereits aktiv in der Bewegung engagiert. Wichtig ist, dass die Welt der Medizin unsere Kampagne mit Interesse verfolgt und unterstützt. Auch die Haltung der Patientinnen und Patienten ist wichtig: In einigen Ländern haben wir mit Umfragen ermittelt, ob sie Choosing Wisely kennen und ob sie einverstanden sind mit diesem Programm. In Kanada haben wir gute Informationen. Die Menschen fragen uns: Ändert sich die medizinische Praxis? Dazu haben wir erste Informationen: In einem kanadischen Krankenhaus verringerten sich die Anzahl von Tests und unnötigen Behandlungen in einzelnen Abteilungen, zum Beispiel in der Notaufnahme (40%). Wir beobachten also effektiv Veränderungen, aber für eine generelle Beurteilung ist es noch zu früh.

Ist es nicht ratsam, einen Zweifel zu einem gesundheitlichen Problem gleich auszuräumen, statt ihn mit uns herumzutragen?

Sicher, viele Patienten fragen: „Was für ein Risiko besteht hier?“, und sagen: „Machen wir doch noch einen anderen Test, um sicherzugehen!“ Aber die Menschen lernen anhand des Materials, das wir ihnen liefern, dass das nicht unbedingt stimmt, dass ein anderes Arzneimittel eventuell schädliche Nebenwirkungen haben kann.  Und auch ein neuer Test kann gefährlich sein, kann die PatientInnen zum Beispiel einer Strahlung aussetzen oder ein falsches positives Ergebnis liefern, aufgrund dessen sie dann viele weitere Tests machen müssen. Und so hat man manchmal den Eindruck, das Richtige getan zu haben, aber in Wahrheit hat man sich durch unnötige Untersuchungen und Behandlungen Risiken ausgesetzt.