ADHS: Medikamente helfen nicht beim Lernen

Jahrzehntelange hat die Mehrheit der Ärzt:innen, Eltern und Lehrkräfte geglaubt, dass stimulierende Medikamente Kindern mit Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) beim Lernen helfen. Nun haben die Forschenden des Center for Children and Families der FIU jedoch bei der ersten Studie dieser Art festgestellt, dass Medikamente keinen nachweisbaren Einfluss darauf haben, wie viel Kinder mit ADHS in der Schule lernen.

Bei ungefähr 10 % der Kinder in den USA wird ADHS diagnostiziert und mehr al 90 % von ihnen erhalten als wichtigste Therapie innerhalb der schulischen Einrichtungen Stimulanzien, da die meisten Ärzt:innen der Ansicht sind, dass diese Medikamente für eine bessere schulische Leistung sorgen.

„Ärzt:innen und Pädagog:innen sind überzeugt, dass die Medikamente Kindern mit ADHS helfen, da sie mehr Zeit sitzend und mit den Klassenaufgaben verbringen, wenn sie ihnen verordnet werden“, erklärt der Autor Wilhelm E. Pelham. „Leider fanden wir heraus, dass die Medikamente keine Auswirkung auf das Lernen haben.“

Die Forschenden untersuchten 173 Kinder mit ADHS im Alter zwischen 7 und 12 Jahren, die am Summer Treatment Program des Zentrums teilnahmen, einem achtwöchigen  Sommercamp für Kinder mit ADHS und den damit verbundenen Verhaltens-, Emotions- und Lernstörungen.

Die Kinder nahmen an zwei aufeinanderfolgenden Phasen mit 25-minütigen Unterrichtseinheiten teil, zum Wortschatz sowie natur- und sozialwissenschaftlichen Themengebieten. Zertifizierte Lehrkräfte und Assistent:innen unterrichteten Gruppen von 10-14 Kindern in einem schulischen Umfeld.

Jedes Kind erhielt nach dem Zufallsprinzip  entweder  in der ersten oder in der zweiten Phase ein Medikament mit verlängerter Wirkstofffreisetzung und in der anderen ein Placebo.

Entgegen ihrer Erwartungen, stellten die Forschenden fest, dass die Kinder in den Bereichen Natur- und Sozialwissenschaften sowie Wortschatz gleich viel lernten,  unabhängig davon, ob sie das Medikament oder das Placebo einnahmen.

Obgleich die Medikamente die Lernleistung nicht verbesserten, konnte die Studie wie erwartet zeigen, dass sie dazu beitrugen, dass die Kinder mehr Stillarbeit erledigten und sich ihr Verhalten in der Klasse verbesserte. In der Zeit, in der die Kinder die Medikamente einnahmen, lösten sie 37 % mehr Rechenaufgaben in der Minute und verstießen 53 % mal weniger in der Stunde gegen die Klassenregeln.

Darüber hinaus fanden die Forschenden in Übereinstimmung mit früheren Studien heraus, dass die Medikamente zu einer leichten Verbesserung der Testergebnisse beitrugen, wenn sie am Tag einer Prüfung genommen wurden, ohne aber die Gesamtnote der meisten Kinder zu verbessern. So konnten die Kinder mit Hilfe der Medikamente ihre Leistung bei Tests in naturwissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Fächern im Durchschnitt um 1,7 Punkte von 100 verbessern.

Die geringe schulische Leistung ist eine der größten Beeinträchtigungen, die mit ADHS einhergehen und führt häufig zu langfristigen beruflichen und finanziellen Schwierigkeiten, wenn die Betroffenen das Erwachsenenalter erreichen.

In einer früheren Studie kam Pelham – der zu den Pionieren der Erforschung und Behandlung von ADHS gehört – zu dem Ergebnis, dass es günstiger und effizienter ist, bei Kindern mit ADHS zuerst eine Verhaltenstherapie durchzuführen, bevor sie Medikamente erhalten.  Stimulanzien eignen sich eher als Zweitlinientherapie für Kinder, die sie benötigen, allerdings in einer geringeren Dosis als sie gewöhnlich verordnet wird. im Übrigen hat die Society for Developmental and BehavioralPediatrics (SDBP) neue klinische Leitlinien veröffentlicht, die eine Verhaltenstherapie dringend als Erstlinientherapie für Kinder mit ADHS empfehlen.

Fonte


Pelham WE et al. The effect of stimulant medication on the learning of academic curricula in children with ADHD: a randomized crossover study. J Consult Clin Psychol 2022;90(5):367-380.