Neuere Studien haben einige gewöhnlich vorgenommene chirurgische Eingriffe mit weniger aggressiven nicht-chirurgischen Alternativen verglichen. Gemeinsam ist allen Studien, dass sich keine der untersuchten Therapien als in allen Fällen den anderen überlegen erwies: „Hinsichtlich eines bestimmten Ergebnisses war ein traditioneller chirurgischer Eingriff besser, während im Falle eines anderen eine weniger invasive Option besser geeignet war“, erklären die Autoren eines Editorials im JAMA, Karan Chhabra (Brigham and Women’s Hospital, Boston) und Mitarbeiter. Sie fügen hinzu: „Zum Beispiel war bei Divertikulitis eine Kolektomie geeigneter, um einem weiteren Eingriff vorzubeugen, während durch eine laparoskopische Lavage wirksamer der Bildung von Stomata vorgebeugt werden konnte“. Aus diesem Grund ist es in vielen Fällen angebracht, sich bei der Entscheidung, welche Therapie „besser“ ist, weniger auf die objektiven Resultate von Studien als auf die Bewertung der einzelnen Ergebnisse zu stützen. Die Studienergebnisse liefern Informationen über das Pro und Kontra. „Deswegen müsste die Bedeutung der einzelnen Ergebnisse, einschließlich der Implikationen für das Leben des Patienten oder der Patientin, die Wahl der Therapie bestimmen, egal ob es um Appendizitis, Divertikulitis, Kniearthrose oder eine andere Situation geht, in der verschiedene Behandlungsoptionen zur Verfügung stehen“. In dieser Situation verspricht der chirurgische Eingriff eine definitive Lösung, bedingt aber womöglich eine höhere Morbilität, die mit nicht-chirurgischen Maßnahmen vermieden werden könnte; andererseits könnten bei alternativen Behandlungsmethoden die Symptome länger andauern.
Das besondere an den vorgestellten Fällen ist, dass bei ihnen, im Gegensatz zu anderen chirurgischen Eingriffen, die Entscheidung nur selten gemeinsam mit der zu operierenden Person getroffen wird und „gewöhnlich die Vorlieben des Operateurs die Diskussion bestimmen“.
Allerdings wird die Einbeziehung der PatientInnen durch einige Faktoren erschwert: Oft haben die Chirurginnen und Chirurgen keine Zeit, mit den PatientInnen zu sprechen und ihnen das komplexe Für und Wider zu erklären, so dass diese es möglicherweise vorziehen, ihnen die Entscheidung zu überlassen.
„Die größten Hindernisse sind jedoch oft emotionaler Natur“, stellen Chhabra et al. fest, „denn die Menschen, die sich für die Chirurgie entscheiden, sind von ihrer heilenden Wirkung überzeugt. Darüber hinaus ziehen sie Therapien und sogar Komplikationen vor, die sie gut kennen, während sie die mit Behandlungen, die ihnen weniger vertraut sind, verbundene Morbilität eher beunruhigt“.
Wie kann diese Situation überwunden werden? Weitere Daten über alternative Behandlungsmethoden sind nötig, vor allem über die für die PatientInnen wichtigsten Ergebnisse; die informierte Einwilligung sollte als Möglichkeit genutzt werden, die Werte der PatientInnen zu verstehen; es bräuchte bessere Strategien, um Nutzen und Risiko der Eingriffe zu erklären. „Vor allem aber sollte eine Kultur geschaffen werden, in der es die Werte der PatientInnen sind, die bestimmen, welche Ergebnisse der Maßnahmen wichtig sind. Denn letztendlich müssen die Patienten mit den Folgen leben“, schließen die Autoren.
Quelle
Chhabra KR et al. Surgical decision making. Challenging dogma and incorporating patient preferences. JAMA. 2017;317(4):357-358. doi:10.1001/jama.2016.18719
Zur Vertiefung
Salminen P, Paajanen H, Rautio T, et al. Antibiotic therapy vs appendectomy for treatment of uncomplicated acute appendicitis: the APPAC randomized clinical trial. JAMA 2015;313(23):2340-2348.
Schultz JK, Yaqub S, Wallon C, et al; SCANDIV Study Group. Laparoscopic lavage vs primary resection for acute perforated diverticulitis: the SCANDIV randomized clinical trial. JAMA 2015;314(13): 1364-75.
Skou ST, Roos EM, Laursen MB, et al. A randomized, controlled trial of total knee replacement. N Engl J Med 2015;373(17): 1597-1606.
VMB: Appendizitis: Antibiotikatherapie und chirurgischer Eingriff im Vergleich, 27. Juni 2016.
BAL: Protesi totale del ginocchio? Parliamone, 27. Oktober 2015.