Die American Cancer Society hat als Reaktion auf den Anstieg der Fälle von kolorektalem Karzinom bei jüngeren Menschen angekündigt, ihre Leitlinien zu aktualisieren. Ab jetzt wird empfohlen, dass sich Erwachsene ab dem Alter von 45, anstatt 50 Jahren, wie in der Vergangenheit, dem Screening unterziehen. Diese Empfehlungen richten sich an Erwachsene, die ein durchschnittliches Krankheitsrisiko aufweisen, das heißt, der Großteil der Bevölkerung in den Vereinigten Staaten. Die AutorInnen vertreten die Ansicht, dass die Absenkung des Alters, in dem man mit dem Screening beginnt, viele Leben retten könnte. In den beiden vergangenen Jahrzehnten ist die Inzidenz des kolorektalen Karzinoms bei Menschen über 54 Jahren ständig zurückgegangen, vor allem, weil das Screening auf weite Teile der Bevölkerung ausgedehnt wurde, was ermöglicht hat, potentiell bösartige Polypen festzustellen und zu entfernen. Seit 1994 ist jedoch ein Anstieg von 51 % der Krankheit bei Menschen unter 50 Jahren zu beobachten, womit auch ein Anstieg der Sterblichkeitsrate einhergeht.
Hinsichtlich des kolorektalen Karzinoms, spricht sich die American Cancer Society nicht für eine bestimmte Screening-Option in Bezug auf andere aus, sondern schlägt verschiedene Optionen vor: ein jährlicher hochsensibler Stuhltest; ein DNA-basierter Stuhltest (Cologuard) alle drei Jahre; eine Darmspiegelung alle zehn Jahre oder eine virtuelle Darmspiegelung, bzw. eine flexible Sigmoidoskopie alle fünf Jahre. PatientInnen, bei denen eine andere Screeningmethode als die Darmspieglung positiv ausfällt, sollten so bald wie möglich eine solche durchführen lassen.
Die Reaktionen
George Chang, Professor für chirurgische Onkologie und Erforschung der Gesundheitspflege am MD Anderson Cancer Center di Houston, bewertet dieses Veränderung als positiv: „Wir haben es inzwischen mit einer großen Zahl an jüngeren PatientInnen zu tun“. Aber die Gründe für die steigende Zahl an Erkrankungen sind umstritten und sind wahrscheinlich auf eine Reihe von Faktoren zurückzuführen. „Das ist die Eine-Million-Dollar-Frage“, sagt Chang und fügt hinzu, dass zu den Ursachen Übergewicht, fehlende sportliche Betätigung und der Verzehr von industriell verarbeiteten Lebensmitteln gehören können.
Jedoch sind nicht alle mit den neuen Empfehlungen einverstanden. Die US Preventive Services Task Force, eine unabhängige Gruppe, die Screening-Tests bewertet, hat vor einigen Jahren beschlossen, das empfohlene Alter nicht auf 50 Jahre zu senken, da die verfügbaren Daten widersprüchlich waren und ein jüngeres Alter nur einen „geringen“ Nutzen gebracht hätte.
Kenny Lin, Professor für klinische Familienmedizin an der Georgetown University, enthält sich eines Urteils: „Der Grund für das Screening in einem jüngeren Alter ist, dass die Inzidenz von Darmkrebs höher ist [als in der Vergangenheit]… also gibt es mehr Tumoren, die mit dem Screening gefunden werden können“. Lin weist jedoch darauf hin, dass diese Logik auf einigen Annahmen beruht. Insbesondere auf der, dass sich die Tumoren bei jüngeren Erwachsenen genau so verhalten und genau so wirksam behandelt werden können, wie die bei älteren Erwachsenen. Außerdem setzt sie voraus, dass die Ergebnisse besser sind, wenn diese Tumoren durch das Screening festgestellt werden, bevor sie Symptome hervorrufen. „Wenn sich diese Hypothesen als nicht zutreffend herausstellen sollten, könnte es sein, dass das frühere Screeningnicht in der Lage ist, die Mortalität von Darmkrebs im wahren Leben zu senken, unabhängig davon, was die Modelle sagen“.
Richard Hoffman, Leiter der Abteilung für Innere Medizin an der Universität des Iowa Carver College of Medicine hebt hervor, dass die Leitlinien eine genaue Einhaltung der ACS-Empfehlungen zum Screening vorsehen. „Da wir wissen, dass nur 2/3 der Erwachsenen zwischen 50 und 74 Jahren [den Screening-Empfehlungen]folgen, gibt es Zweifel über den potentiellen Nutzen des Screenings bei jüngeren PatientInnen, besonders wenn sie nur einen „ungewissen“ Versicherungsschutz haben“, schließt Hoffman.
Die Internisten Pieter Cohen und Michael Hochman beschäftigen sich in ihrem Newsletter Updates in Slow Medicine dagegen mit der Tatsache, dass die Daten nicht aus einer klinischen Studien stammen. Die Veränderung beruht nicht auf den Ergebnissen einer neuen klinischen Studie, sondern auf Modellierungsstudien, die von der Prävalenz des kolorektalen Karzinoms bei erwachsenen Amerikanern ab 40 Jahren ausgehen. Die aktualisierten Leitlinien fordern die ÄrztInnen auf, die verschiedenen Arten von Screening mit den PatientInnen zu besprechen, weisen diese aber leider nicht darauf hin, dass es unterschiedliche Expertenmeinungen darüber gibt, wann mit dem Screening begonnen werden soll, und dass das Screening unter 50 bekannte Risiken mit sich bringt, aber nur theoretischen Nutzen hat.
Auf jeden Fall verweisen die epidemiologischen Tendenzen in den jungen Kohorten, wie die der 1990 geborenen, darauf, dass auch in den nächsten Jahrzehnten das Problem der steigenden Darmkrebs-Inzidenz bestehen wird und die ganze Aufmerksamkeit der wissenschaftliche Gemeinschaft wie auch die entstandene Diskussion verdient.