Der merkwürdige Fall der Polypille, die vor Herzinfarkten schützt

In der bisher größten Studie dieser Art wurde die Wirkung der sogenannten Polypille untersucht, einer „Vier in eins“-Therapie, die Arzneimittel zur Senkung des Cholesterinwerts und des Blutdrucks kombiniert. Die WissenschaftlerInnen fanden heraus, dass Menschen, die diese Pille einnehmen, ein um mehr als 30 % verringertes Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse haben.

Die Ergebnisse früherer Studien, die unterschiedliche Formeln untersuchten, wurden von der geringen Teilnehmerzahl und der Kürze der Dauer beeinträchtigt, das heißt, das ganze Potential der Polypille wurde nicht wirklich erforscht.

Die neue Studie hatte dagegen mehr als 6800 TeilnehmerInnen im Alter zwischen 50 und 75 Jahren, die im ländlichen Iran leben, ein Gebiet, in dem fast 34 % der vorzeitigen Todesfälle auf koronare Herzerkrankungen und 14 % auf Schlaganfälle zurückzuführen sind.

Die ForscherInnen (aus Großbritannien, den Vereinigten Staaten und Iran) berichten, dass 3417 Menschen nur eine minimale ärztliche Versorgung erhielten: Unterstützung bei der Kontrolle von Blutdruck und Cholesterinwert sowie Ratschläge zum Lebensstil und Themen wie Ernährung, körperliche Betätigung und Rauchen. Eine ähnliche Anzahl erhielt außerdem die Polypille. Im Laufe des Follow-ups von fünf Jahren trat bei 202 der Menschen, die die Polypille erhielten, mindestens ein schwereres kardiovaskuläres Ereignis (wie Infarkt, Herzinsuffizienz oder Schlaganfall) auf, gegenüber 301 in der Gruppe, die nur „Ratschläge“ erhielt. Insgesamt ließen die Ergebnisse darauf schließen, dass die Polypille zwei größere kardiovaskuläre Ereignisse je 69 Menschen, die sie über einen Zeitraum von fünf Jahren einnehmen, vermeiden kann.

Einige Überlegungen
Eine Studie dieser Art ist natürlich wegen der potentiellen Auswirkungen, die sie haben könnte, zahlreichen Betrachtungen und Kritiken ausgesetzt, sowohl in Bezug auf die der Studie innewohnenden Faktoren wie auf ihre Folgen für die öffentliche Gesundheit. Das Forscherteam hat die größten Einwände schon im Voraus abgewehrt, jedoch nicht alle möglichen Gegenstimmen bedacht.

Insbesondere betonten die ForscherInnen, dass die Polypille besonders in Ländern mit mittlerem oder niedrigem Einkommen nützlich sein könnte, und sie für Menschen über einem gewissen Alter empfohlen, ohne vorherige Blutuntersuchungen oder komplizierte Einschätzungen, mit dem Ergebnis, dass es weniger Infarkte, Schlaganfälle und andere schwere kardiovaskuläre Ereignisse gäbe. Nicht zu vergessen der Vorteil, dass die PatientInnen nicht vier verschiedenen Tabletten, sondern nur eine einzige nehmen müssten.

Diesbezüglich bemerkt Jeremy Pearson, stellvertretender ärztlicher Leiter der British Heart Foundation, dass die Situation im Iran eine ganz andere ist als die in Ländern mit hohem Einkommen, in denen es ernsthafte Prävention gibt und folglich einen geringeren Anteil an kardiovaskulären Krankheiten als im ländlichen Iran. Folglich wären die mit der Einführung der Polypille verbundenen Vorteile in einem anderen Umfeld weniger relevant.

Einige Kommentatoren stellen eine statistische Überbewertung der Ergebnisse fest, die in Wirklichkeit weniger aufsehenerregend seien, wenn man korrekt rechnen würde; andere verweisen auf das Risiko, das mit der ASS-Komponente der Polypille verbunden ist, da sie bei Menschen, die nicht speziell aufgrund der Abwesenheit von Blutungen ausgewählt wurden, mit alles andere als unerheblichen Nebenwirkungen einhergehen könnte. Wieder andere werfen dagegen die Frage des Ansatzes auf: Eigentlich müssten die zugrundeliegenden chronischen Krankheiten behandelt werden, anstatt auf ein einzelnes Parameter mit einem Arzneimittel einzuwirken. Das wichtigste Ziel müsste folglich sein, die tatsächlichen Ursachen der Krankheiten, denen vorgebeugt werden soll, zu behandeln und auf den Lebensstil und die Ernährung einzuwirken.

Quelle:
Roshandel G et al.Effectiveness of polypill for primary and secondaryprevention of cardiovasculardiseases (PolyIran): a pragmatic, cluster-randomised trial.Lancet 2019;394(10199):672-683.