Wenn ein experimentelles Krebsmittel getestet wird, führt der Beweis, dass es eine Verbesserung der Gesamtüberlebensrate bewirkt, im Allgemeinen zu seiner Zulassung. Jedoch hängt der Wert dieser Verbesserung zum größten Teil von dem Kontext ab, aber auch von den damit verbundenen Kompromissen.
Viele OnkologInnen neigen dazu, kein aktives Krebsmittel zu verschreiben, wenn sie erkennen, dass ihren PatientInnen nur noch wenige Wochen bleiben. Es ist nämlich wahrscheinlich, dass diese PatientInnen zuvor eine Reihe von invasiven Behandlungen durchlaufen haben, darunter chirurgische Eingriffe, Radiotherapien und pharmakologische Therapien. Die letzten Monate sind für die Kranken und ihre Familien wertvoll und bei einer aktiven Therapie müssten sich die Kranken zur Behandlung ins Krankenhaus begeben und Nebenwirkungen auf sich nehmen.
Die Autoren fragen sich folglich, warum weiterhin in den letzten sechs Lebensmonaten aktive Therapien verschrieben werden.
Die naheliegendste Antwort ist, dass die ÄrztInnen zu einem unrealistischen Optimismus bezüglich des Nutzens der Arzneimittel neigen, obgleich zahlreiche Studien die Sinnlosigkeit einer Chemotherapie in den letzten sechs Lebensmonaten belegen. Auf der anderen Seite ist den PatientInnen, die sich bei einem nicht heilbaren Tumor einer Chemotherapie unterziehen, nicht immer bewusst, dass diese ihnen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht helfen wird.
Die Autoren haben insbesondere untersucht, wie häufig zwischen Dezember 2012 und Dezember 2016 Arzneien zugelassen wurden, wenn die Lebenserwartung unter sechs Monaten liegt. Sie haben drei Krebsmittel (4,3 %) identifiziert, die im betreffenden Zeitraum zugelassen wurden und an einer Bevölkerung, welche mit der Arznei eine Gesamtüberlebensrate von 6,5 Monaten oder weniger hatte, getestet wurden: Regorafenib für die Zweitlinientherapie von metastasiertem kolorektalem Karzinom, Ramucirumab als Zweitlinientherapie von Magenkarzinom oder gastroösophagealem Karzinom mit Metastasen und liposomales Irinotecan für die Zweitlinienbehandlung von Pankreaskarzinom mit Metastasen.
Die auf diese Arzneimittel zurückzuführende weitere Lebenszeit gegenüber dem Kontrollarm betrug weniger als zwei Monate (1,4-1,9 Monate). Der Trade-off der Wirksamkeit der in den Studien beobachteten Arzneien betrug zwischen 3,8 und 5,0 Lebensmonaten ohne Medikamente und 5,2-6,4 Monate mit Medikamenten.
Nicht zu vergessen, dass die PatientInnen, deren Lebenserwartung nur sechs Monate beträgt, angemessen darüber informiert werden müssen, dass die Krebsmittel sie dem Risiko von schwerwiegenden Nebenwirkungen (SAE) aussetzen, einschließlich Tod, in der Hoffnung, ihr Leben um weniger als zwei Monate zu verlängern.
Darüber hinaus kosten diese Arzneimittel in den USA mehr als 9500 Dollar pro Monat, obwohl sie nur einen minimalen Nutzen haben und mit einer potentiell tödlichen Toxizität verbunden sind. Die Autoren fragen sich, ob es für einen Staat tragbar ist, derartige Summen für ein Medikament auszugeben, welches das Überleben von Patienten, denen nur sechs Monate verblieben sind, um weniger als zwei Monate verlängert.
Das grundlegende Problem ist, dass eine medizinische Behandlung darauf zielt, die Lebensdauer oder die Lebensqualität so weit wie möglich zu verbessern und es folglich schwer ist, anzuerkennen, dass nichts zu tun manchmal besser sein kann als ein aktives Eingreifen. In diesem Fallist es sehr wichtig, mit den PatientInnen über die Ziele der Behandlung zu sprechen. Die PatientInnen haben häufig eine unrealistische Vorstellung von ihrem Zustand (eine Umfrage hat ergeben, dass nur eine Minderheit der PatientInnen im Endstadium der Krankheit ihre Prognose kennen). Die Autoren heben hervor, wie wichtig es ist – und in Zukunft immer mehr sein wird – den PatientInnen bewusst zu machen, was sie tatsächlich erhoffen können, mit ihnen über die potentielle Toxizität der Behandlung zu sprechen und ihre kulturellen und persönlichen Prioritäten zu integrieren; sie erwähnen auch die Rolle der Medien, die bei der Behandlung des komplexen Themas Lebensende auf die irreführende Metapher vom Krieg gegen den Krebs verzichten sollten.