Evidenzbasierte Medizin: Die Notwendigkeit eines Manifests

Richard Saitz, der ausscheidende Chefredakteur der Zeitschrift Evidence-Based Medicine, versucht in seinem Leitartikel zum Abschied, Bilanz zu ziehen. Saitz geht auf eine Kritik ein, die besonders häufig gegenüber den klinischen Studien und systematischen Reviews vorgetragen wird, und zwar, dass sie nicht die Themen untersuchen, die für die Gesundheit und das Wohlergehen der Menschen von Bedeutung sind, und sich stattdessen auf die medizinischen Maßnahmen und Ergebnisse konzentrieren. Er betont, dass sich dessen ungeachtet die Einwände nicht auf den „idealen Einsatz der EBM“ beziehen, sondern auf die „ungenügende Qualität der wissenschaftlichen Nachweise, die falsche Nutzung der Studien und den unangemessenen Einsatz der EBM“. Hingegen ist eine Medizin, die auf Nachweisen ihrer Wirksamkeit beruht, wichtiger denn je, denn: “In many developed nations, now we are witnessing science under assault. (…) Science finds itself on equal footing as a guy with an opinion”.  In Erwartung einer Verbesserung der EBM kann die Lösung sicherlich nicht in der “BBM”, der belief-based medicine bestehen, einer Medizin die auf Überzeugungen beruht. Die EBM sollte der vorherrschende Ansatz bleiben und weiter verbessert werden. Wie Fiona Godlee, die Direktorin des BMJ, 2014 schrieb: “Evidence Based Medicine may be the worst system for clinical decision making, except for all those other systems that have been tried from time to time. It is only as good as the evidence and the people making the decisions”.

Da nicht auf diese Bewegung und diese Herangehensweise an die Medizin verzichtet werden kann, sollte man sich darum bemühen, sie zu verbessern. So ist das EBM-Manifest entstanden, das aus der Begegnung einer Reihe von Stakeholdern, aus Seminaren und Runden Tischen hervorgegangen ist und im BMJ vorgestellt wird, mit einer Reihe von weiterführenden Texten zu den verschiedenen Punkten auf der Website von Evidence Live. Die italienische Übersetzung ist in der Zeitschrift Evidence der GIMBE-Stiftung erschienen.

 „Eine informierte Entscheidung verlangt, dass medizinisches Fachpersonal und PatientInnen die besten wissenschaftlichen Belege ausmachen und nutzen. Aber wie kann man dieses Ziel erreichen, wenn der größte Teil der zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Nachweise von fragwürdiger Qualität ist, Studien fehlen, die Antworten auf die tatsächlichen Bedürfnisse der PatientInnen geben, und keine wissenschaftlichen Daten für eine gemeinsame Entscheidung vorliegen?“, schreiben Carl Heneghan (Centre for Evidence Based Medicine) und MitarbeiterInnen. Sie fügen hinzu: „Aus diesem Bewusstsein heraus ist das EBM-Manifest entstanden, und alle sind aufgefordert, ihren Beitrag zu einer Bewegung zu leisten, die sich um die Verbesserung der wissenschaftlichen Nachweise bemüht und einer Roadmap folgt, um definierte Ziele zu erreichen, die erreichten Ergebnisse zu teilen und sich neuen Herausforderungen zu stellen“.

Dem Manifest geht eine Liste mit den größten Problemen voraus, die sich den wissenschaftlichen Nachweisen in den Weg stellen, darunter die fehlende Publikation von 50% der klinischen Studien, die Verschwendung von Ressourcen in der Forschung, dieInteressenkonflikte der AutorInnen und SponsorInnen der Leitlinien für die klinische Praxis und fehlerhafte methodologische Ansätze.

Das EBM-Manifest zur Verbesserung der Gesundheit der Menschen

  • Die Ausweitung der Rolle von PatientInnen, medizinischem Fachpersonal und EntscheidungsträgerInnen in der Forschung
  • Die vermehrte systematische Nutzung der zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Daten
  • Die Förderung relevanter, wiederholbarer und für die EndnutzerInnen zugänglicher Forschungsergebnisse
  • Die Verminderung der Zahl von fragwürdigen Forschungspraktiken, Bias und Interessenkonflikten
  • Die Gewährleistung einer strengen, transparenten und unabhängigen Reglementierung von Arzneimitteln und Medizinprodukten
  • Die Erarbeitung von Leitlinien für die klinische Praxis, die leichter zu implementieren sind
  • Die Förderung der Innovation sowie der Verbesserung von Qualität und Sicherheit der Gesundheitspflege über einen vermehrten Einsatz von Real World Data
  • Die Ausbildung von Fachkräften, EntscheidungsträgerInnen und BürgerInnen inEvidence-based Health Care, mit dem Ziel, informierte Entscheidungen treffen zu können
  • Die Unterstützung und Förderung zukünftiger Generationen von EMB-Leadern

 „Das Manifest ist mit seinen Prioritäten ein lebendiges Dokument, das dafür bestimmt ist, sich im Laufe der Zeit weiterzuentwickeln, mit dem Ziel, verlässliche wissenschaftliche Nachweise für eine verbesserte Gesundheitsversorgung zu erarbeiten”, versichern Heneghan und, unter anderem Godlee und Ben Goldacre,  dem Autor von „Bad Science“.

Quellen
Godlee F. Evidence based medicine: flawed system but still the best we’ve got. BMJ 2014;348:g440
Saitz R. Evidence-Based Medicine these 7 years: time for the editor to go on permanent sabbatical. Evid Based Med. 2017; 22(3): 79-80.
Ebm Manifesto: http://evidencelive.org/manifesto/
Heneghan C, , Mahtani KR, Goldacre B, Godlee F, Macdonald H, Jarvies D. Evidence based medicine manifesto for better healthcare. BMJ 2017;357:j2973
Die italienische Übersetzung: Il manifesto EBM per migliorare l’assistenza sanitaria. Una risposta a bias sistematici, sprechi, errori e frodi nella ricerca che condizionano l’assistenza al paziente. Evidence 2017;9(6): e1000167 doi: 10.4470/E1000167