In der neuesten Ausgabe des Italian Journal of Gender-Specific Medicine findet sich eine Reihe von interessanten Beiträgen, darunter der einer Gruppe von AutorInnen vom Krankenhaus Mauriziano in Turin, die im Originalartikel Gender-related differences in hypertrophic cardiomyopaty: 30 years of experience in an Italian center die hypertrophe Kardiomyopathie (HCM) unter geschlechtsspezifischen Gesichtspunkten und deren Auswirkungen auf die Behandlung und die Ergebnisse untersuchen. Bei dieser Krankheit liegt eine höhere Prävalenz bei Männern vor, aber die betroffenen Frauen sind älter, weisen mehr Symptome und eine höhere HCM-bedingte Mortalität auf. Für die Unterschiede sind zahlreiche Faktoren verantwortlich. Es ist wichtig, die geschlechtsspezifischen Unterschiede zu kennen, um PatientInnen eine angemessene Behandlung zu gewährleisten.
Eine Gruppe von Autorinnen des United Nations Interregional Crime and Justice Research Institute und von Eclectica, Institute for Training and Research, beschäftigt sich dagegen im Artikel Exploring the level of gender mainstreaming in the working agenda of substance use treatment centres in Italy mit Genderaspekten in der Suchtarbeit. In welchem Maße, fragen sich die Autorinnen, sind Genderaspekte in der italienischen Suchthilfe präsent und welche kritischen Punkte und Vorteile bemerken die Fachkräfte? Die Studie, bei der per E-Mail ein Fragebogen an öffentliche und private Suchthilfeeinrichtungen verschickt wurde, stellt einige Hindernisse fest, zum Beispiel, was den Zugang von Frauen gegenüber dem von Männern betrifft, sowie das Fehlen einer genderspezifischen Perspektive. Die geschlechtsorientierten Leistungen richten sich zumeist an Mütter oder schwangere Frauen.
Die Analyse, die Fulvia Signani, Psychologin an der Universität Ferrara, in ihrem Beitrag Per una ricerca ‘genere connotata’: aspetti metodologici di una sfida vorstellt, weist dagegen philosophische Aspekte auf: Die Gendermedizin oder geschlechtsspezifische Medizin bedeutet stellt nicht nur eine klinische Herausforderung dar, sondern geht auch mit der Einführung eines Transformationsparadigmas einher, das biomedizinische und psycho-soziale Forschung vereint. Geschlecht wird unter zwei Gesichtspunkten, als psychologische Identität und gesellschaftliche Rolle, beschrieben. In der geschlechtsspezifischen Forschung spielt die Überwindung des Gender Bias eine wichtige Rolle. Die Studie stellt zwei Beispiele vor: Die Rolle des Care givers, die typisch für Frauen ist, und das Caregiver burden, die psychologische Belastung der Pflegeperson.
Der originelle Artikel Health, gender and healthcare design: considerations about hospital environments in a gender-sensitive perspective von Rita Biancheri und Stefania Landi von der Universität Pisa beschäftigt sich mit verschiedenen für die Gesundheit maßgeblichen Faktoren, darunter das Geschlecht, ein transversaler Faktor, und die Atmosphäre und Räumlichkeiten der Krankenhäuser, und wie weit sie das Wohlergehen der KrankenhauspatientInnen und ihre Wahrnehmung der eigenen Gesundheit beeinflussen können. Eine Reflexion darüber, wie die Räumlichkeiten mit wenig Aufwand renoviert werden könnten, um den Gesundheitszustand der PatientInnen zu verbessern. Die Autorinnen haben den State of the Art in diesem Bereich untersucht und vergleichen in einer empirischen Untersuchung ein Krankenhaus in Lucca vom Ende des 19. Jahrhunderts mit Krankenhausbauten der neuesten Generation. Angestrebt wird der Übergang von einer Klinik, in der die Körper betreut werden, zu einem Zentrum, in dem die Konzeption der Räume zu einem wichtigen Moment der Behandlung wird.
A review of gender differences in proximal humerus fractures, der Beitrag von Biagio Moretti und Mitarbeitern der Universität Bari, untersucht Humerusfrakturen, die bei der weiblichen Bevölkerung über 65 Jahre häufig vorkommen, aber eine höhere Mortalität unter der männlichen Bevölkerung aufweisen. Die Studie umfasst eine systematische Review der Literatur über die Unterschiede zwischen Männern und Frauen mit einer proximalen Humerusfraktur hinsichtlich anatomischer und struktureller Gesichtspunkte, Inzidenz und Mortalität.
Die Arbeit von Luciano Agati und Valentina Scalzi von der Universität Sapienza in Rom wiederrum führt über die Grenzen Italiens hinaus und in den Jemen. In The experience of a cardiologist and of an internist in taking charge and care of patients from other cultures from a gender perspective: the Yemen project erzählen ein Kardiologe und ein Internist anhand einer Reihe von Momentaufnahmen des Alltagslebens von ihren Erfahrungen innerhalb und außerhalb der Krankenhäuser. Die Schilderung der medizinischen Situation in Jemen ist eindrucksvoll, zum Beispiel die Unterschiede bei der Behandlung von weiblichen oder männlichen Patienten, der Gesundheitszustand einer Bevölkerung mit einer hohen Inzidenz von rheumatischer Herzkrankheit aufgrund des völligen Fehlens von primärer und sekundärer Prävention und die Geschlechtsunterschiede, die bei der Behandlung von Frauen mit akutem Koronarsyndrom zu beobachten sind.
Zurück in Italien lesen wir ein interessantes Interview mit Stefania Saccardi, der Leiterin der Gesundheitsbehörde der Region Toskana: Die Strategien auf dem Gebiet der Gendermedizin in der Region Toskana. Saccardi bietet einen Überblick über das Engagement ihrer Region auf diesem Gebiet, das mit der Einrichtung einer ständigen Kommission zur Gendermedizin begonnen hat, auf das die Integration eines Ad-hoc-Kapitels „Gesundheit und Gendermedizin“ in den Regionalen Gesundheitsplan 2012-2015 sowie ein Bericht „Gendergesundheit in der Toskana“ folgte. In der Toskana wurde die Gendergesundheit unter die sieben vorrangigen Ziele der Gesundheitsbehörde aufgenommen. 2014 wurde das Zentrum für die regionale Koordinierung der Gendergesundheit und Gendermedizin eingerichtet, das eine ganze Reihe von Aufgaben und Funktionen umfasst und mit den wichtigsten Institutionen der Region vernetzt ist. Ziel der Region Toskana ist es, weiterhin in die Gendermedizin zu investieren.
Elena Rastrelli (Rete Donne Simspe), widmet ihren Beitrag der geschlechtsspezifischen Gesundheit im Strafvollzug und stellt fest, dass “nur durch die Feststellung der Gesundheitsbedürfnisse der weiblichen Inhaftierten eventuell vorhandene Unterschiede überwunden werden können, die auf eine Unangemessenheit der Organisation und der Gesundheitsleistungen zurückzuführen sind, um eine Verbesserung der Prävention und Behandlung von Krankheiten bei Männern und Frauen zu erreichen. Wenn außerdem Information und Weiterbildung zur Gendermedizin hinzukommen, können wir mit der Zeit die kulturelle Emanzipation erreichen, die auch in diesem Bereich Einzug halten sollte“.
Das Heft schließt mit einer zusammenfassenden Analyse der Publikationen in Web of Science 2000-2016, die sich mit Gender- und Geschlechtsunterschieden befassen und von Rosa Vona (Istituto Superiore di Sanità) verfasst wurde: Sie zeigt, dass sich mit der Zeit die Anzahl von Arbeiten über „Gender differences“ und „Sex differences“ vervielfacht hat, was ein zunehmendes Interesse der wissenschaftlichen Gemeinschaft an diesen Themen erkennen lässt.
(aus der Präsentation des Hefts von Mariapaola Salmi: Il gender gap è universale)