Jodprophylaxe: Die Erfahrungen in Südtirol

In Südtirol trat aufgrund des Jodmangels schon seit der Antike der Kropf endemisch auf. Eine in den 1980er Jahren durchgeführte epidemiologische Untersuchung an Erwachsenen und Kindern und Jugendlichen im schulpflichtigen Alter ergab bei Letztgenannten eine Kropfprävalenz des Stadiums 1 B-3 (WHO) von 23,66 % (WHO-Höchstgrenze >5 %) und eine Jodurie von 10,2 µgI/L. Dieses Ergebnis bestätigte das endemische Auftreten des Kropfes in Südtirol.

Im Jahr 1982 begann eine allgemeine Jodprophylaxemit feinem Jodsalz, nach einer umfassenden Sensibilisierungskampagne. 1990 wurde eine weitere epidemiologische Untersuchung der schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen durchgeführt (Palpation des Halses, Schilddrüsen-Ultraschall, Blut- und Urinuntersuchung), die eine Kropfprävalenz des Stadiums 1 B von 1,6 % und eine Jodurie von 137,1 µgI/L ergab und somit belegte, dass es in Südtirol keinen endemischen Kropf mehr gab.

2001 ergab eine weitere Erhebung an Kindern der Grund- und Mittelschulen an den gleichen Orten und mit den gleichen Methoden eine Kropfprävalenz von 1,5 %, die Jodurie betrug im Median 230 µgI/L.

Die Jodprophylaxe in der Provinz Bozen ergab:

  • eine klare Reduktion der Kropfprävalenz, die nun nicht mehr endemisch, sondern sporadisch auftritt;
  • einen klaren Anstieg der Jodurie, insbesondere bei der jugendlichen Bevölkerung;
  • einen Rückgang der Fälle von angeborener Schilddrüsenunterfunktion, wie Daten des Istituto Superiore di Sanità bestätigen, die belegen, dass die Inzidenz in Südtirol die Hälfte gegenüber dem restlichen Italien beträgt (1 von 5703 Lebendgeborenen, gegenüber 1 von 2400 Lebendgeborenen im übrigen Staatsgebiet);
  • einen Anstieg der Schilddrüsen-Antikörper und damit der Schilddrüsenentzündungen;
  • einen Anstieg der Fälle von Schilddrüsenüberfunktion in den ersten Jahren der Jodprophylaxe (Toxisches Adenom und Morbus Basedow), die jedoch im Laufe der Zeit zurückzugehen scheinen, was vermuten lässt, dass sie bei prädisponierten Personen früher zum Durchbruch kommen;
  • ein häufigeres Auftreten der papillären Formen, die weniger aggressiv als die follikolären Formen sind, bei der Diagnose von Schilddrüsenkarzinomen.

Die Vorteile der Jodprophylaxe überwiegen objektiv gesehen vor allem hinsichtlich der öffentlichen Kosten (geringerer Bedarf an Arzneimitteln und chirurgischen Eingriffen, weniger Fehlzeiten) die Nachteile, wie etwa das frühere Auftreten von Schilddrüsenüberfunktionen und möglichen autoimmun bedingten Schilddrüsenerkrankungen.

Ihre Wirksamkeit zeigt sich auch in der Schwangerschaftdurch die Prävention von Wachstumsdefiziten und neurologischen Störungen beim ungeborenen Kind. Es liegt nahe, dass diese Strategie im Laufe der Zeit weiter kontrolliert werden muss, wenn ein Rebound vermieden werden soll. 

Besondere Aufmerksamkeit gilt dem Risiko einer Jodüberversorgung [Jodismus – Versagen der Schilddrüsenfunktion (Wolff-Chaichoff-Effekt)], unter Berücksichtigung der Einnahme von jodhaltigen Medikamenten, zum Beispiel Schleimlöser, Amiodaron, etc., jodhaltigen Kontrastmitteln und Lebensmitteln, die viel Jod enthalten, z. B. Algen.

Ein weitere Aspekt der Jodprophylaxe, der nicht vernachlässigt werden darf, ist der Schutz vor den Folgen eines radioaktiven Fallouts von Jod 131, da die mit Jod angereicherte Schilddrüse nicht oder kaum in der Lage wäre, weiteres, radioaktives Jod aufzunehmen. In der Provinz Bozen konnte nach dem Unfall in Tschernobyl 1986 eine gewisse Anzahl an Schilddrüsenkarzinomen beobachtet werden, da die Wetterbedingungen (Regen) einen nicht unbeträchtlichen radioaktiven Fallout bedingt hatten.

 „Die öffentliche Jodprophylaxe in der Autonomen Provinz Bozen endet 2001. Es wäre angebracht, zehn Jahre nach der letzten epidemiologischen Untersuchung den Verlauf zu bewerten, insbesondere hinsichtlich der Kropfinzidenz bei Kindern und Jugendlichen, des Verbrauchs von Jodsalz seitens der Bevölkerung, der positiven Tests auf Schilddrüsen-Antikörpern und vor allem des Werts der Jodurie, der bis 2001 im Anstieg begriffen schien“, bemerken die Autoren des Artikels und fügen hinzu: „Leider haben die begrenzten Finanzmittel und der Vorrang von anderen Gesundheitsfragen bis jetzt verhindert, dass diese neue epidemiologische Erhebung durchgeführt werden konnte“.

Quelle:
Franzellin F, Lucchin L. La iodoprofilassi: l’esperienza della Provincia Autonoma di Bolzano (Alto Adige). Recenti Prog Med 2017;108(2):90-97