Komplizierte Diagnosen und schwierige PatientInnen

Eine Gruppe von AutorInnen aus London hat erforscht, welche klinischen und soziodemographischen Charakteristika die Entscheidung der Hausätzte beeinflussen, weitere Untersuchungendurchzuführen, um eventuell die Diagnose Lungenkrebszu stellen.

In der Allgemeinmedizin stellt eine Lungenkrebsdiagnose eine Herausforderung dar: Gewöhnlich haben es die Allgemeinärzte mit einem Fall von Lungenkrebs im Jahr zu tun. Zwar ist es so, dass sich die Zeitspanne zwischen den ersten Symptomen und der Diagnose bei den meisten Tumorarten verkürzt, beim Lungenkarzinom sind jedoch meist mehrere Arztbesuche nötig, bevor spezifische Untersuchungen durchgeführt werden.

Welche Faktoren tragen zu dieser Verspätung bei? Um dies zu ermitteln, wurde eine Studie mit 227 englischen AllgemeinärztInnen durchgeführt, deren Ergebnisse in BMJ Quality & Safety erschienen sind. Jedem Teilnehmer wurde die Simulation von sechs Fällen präsentiert: zwei mit niedrigem Risiko, bei denen keine weiteren Untersuchungen angezeigt waren, zwei mit mittleren Risiko, bei denen diese Untersuchungen angemessen sein konnten und zwei mit hohem Risiko, bei denen weiterführende Untersuchungen unbedingt angezeigt waren. Alle PatientInnen wiesen zwei Symptome auf: das eine wurde von dem  Patienten/der Patientin selbst beschrieben, das andere erst auf Nachfragen geschildert.

In 74 % aller Fälle entschied der Arzt/die Ärztin, dass weiter Untersuchungen nötig waren, allerdings hing die Wahrscheinlichkeit, dass diese Untersuchungen verordnet wurden, nicht so sehr vom Krebsrisiko als davon ab, ob der Arzt/die Ärztin nach anderen Symptomen fragte. Es ist hervorzuheben, dass in 42 % der Fälle nicht nach weiteren Symptomen gefragt wurde, auch nicht bei den PatientInnen mit hohem Risiko. Bei älteren Menschen und solchen mit dunkler Hautfarbe wurde besonders häufig nicht nachgefragt.

Zur Erklärung dieses Verhaltens ziehen Ashley Meyer und Hardeep Singh (College of Medicine, Houston) das schwierige Gleichgewicht und die Inkongruenz zwischen der Wahrnehmung der eigenen ärztlichen Sorgfalt und der tatsächlichen Gründlichkeit heran. Diese falsche Wahrnehmung kann zwei gegenteilige Phänomene hervorbringen, und zwar übertriebene Selbstsicherheit oder übermäßige Unsicherheit. Die Folgen? Im ersten Fall wird darauf verzichtet, weitere Informationen zu sammeln oder Unterstützung bei der Stellung einer korrekten Diagnose zu suchen. Im zweiten Fall kann die Unsicherheit dazu führen, dass zu viele Daten und Informationen gesammelt und überflüssige diagnostische Tests verordnet werden, was mit Überdiagnose und Überdiagnose einhergehen kann. Es ist folglich schwierig, Ausgewogenheit zu erreichen.

Aber es lauern noch weitere Tücken. Ebenfalls in BMJ Quality & Safety sind zwei Studien erschienen, in denen die Simulationen mit PatientInnen durchgeführt wurden, die einen mehr oder weniger schwierigen Charakter hatten. Die Ergebnisse legen nah, dass „unsympathischere“ Menschen weniger sorgfältige Diagnosen erhalten. Allein das Wissen, dass so etwas vorkommen kann, könnte den ÄrztInnen schon helfen, einen der zahlreichen Bias zu vermeiden, die es zuweilen erschweren, eine korrekte Diagnose zu stellen.

Quellen:
Sheringham J ET AL Variations in GPs’ decisions to investigate suspected lung cancer: a factorial experiment using multimedia vignettes. BMJ Qual and Saf 2017; 26: 449-59.
Hardeep Singh, Gordon D Schiff. The global burden of diagnostic errors in primary care. BMJ Qual and Saf 2017; 26: 484-94.
Meyer AND, Singh H. Calibrating how doctors think and seek information to minimise errors in diagnosis. BMJ Qual and Saf 2017; 26: 436-8.
Redelmeier DA, Etchells EE. Unwanted patients and unwanted diagnostic errors. BMJ Qual Saf 2017; 26: 1-3.
Schmidt HG, Van Gog T, Schuit SCE, et al. Do patients disruptive behaviours influence the accuracy of a doctor’s diagnosis? A randomised experiment. BMJ Qual Saf 2017;26:18–22.
Mamede S, Van Gog T, Schuit SCE, et al. Why patients disruptive behaviours impair diagnostic reasoning: a randomised experiment. BMJ Qual Saf 2017;26:12–7.