Kardiovaskuläre Erkrankungen: die paradoxen Auswirkungen körperlicher Aktivität

paradosso esercizio

Kürzlich wurde im European Heart Journal eine große Studie veröffentlicht, die belegt, dass der Einfluss, den körperliche Aktivität in der Freizeit und körperliche Arbeit auf kardiovaskuläre Erkrankungen und Langlebigkeit hat, gegensätzlich und unabhängig voneinander ist.

Die Studie analysiert die Daten von 104.046 Frauen und Männern im Alter zwischen 20 und 100 Jahren, die an der Kopenhagen-Bevölkerungsstudie (Copenhagen General Population Study, 2003-2014). teilgenommen haben. Die TeilnehmerInnen füllten Fragebögen zu ihren körperlichen Aktivitäten während der Freizeit und der Arbeitszeit aus, die als geringe, mittlere, hohe oder sehr hohe Aktivität klassifiziert wurden.

Während der medianen Nachbeobachtungszeit von 10 Jahren gab es 9846 (9,5 %) Todesfälle aller Ursachen und 7913 größere kardiale Komplikationen (MACE, das heißt tödlicher oder nicht tödlicher Myokardinfarkt, tödlicher oder nicht tödlicher Schlaganfall oder andere kardiologische Todesursachen).

Gegenüber der geringen körperlichen Betätigung in der Freizeit war nach der Anpassung gemäß Alter, Geschlecht, Lebensstil, Gesundheit und Bildungsgrad, die mittlere, hohe und sehr hohe Aktivität mit einem um jeweils 26 %,  41 % und 40 % verringerten Risiko für einen frühzeitigen Tod assoziiert. Hingegen war im Vergleich zu einer geringen körperlichen Belastung im Beruf eine hohe und sehr hohe körperliche Belastung mit einer um 13 %, bzw. 27 % höhere Mortalität verbunden.

Ebenso war, nach den entsprechenden Anpassungen, eine mittlere, hohe oder sehr hohe körperliche Aktivität in der Freizeit im Vergleich zur geringen körperlichen Aktivität in der Freizeit mit einem um 14 %, 23 % und 15 % reduzierten Risiko von MACE verbunden. Gegenüber der geringen körperlichen Belastung im Beruf ging eine hohe und sehr hohe Belastung mit einer um 15 % und 35 % höheren Häufigkeit von MACE einher.

„Viele Menschen, die manuelle Arbeiten verrichten, denken, dass sie dank der körperlichen Aktivität während der Arbeitszeit fit und gesund sind und sich folglich in ihrer Freizeit ausruhen können. Leider lassen unsere Ergebnisse vermuten, dass das nicht der Fall ist. Während für diese Menschen sportliche Betätigung vorteilhaft wäre, sind sie erschöpft, wenn sie zum Beispiel bei Reinigungsarbeiten oder einer Aufgabe in der Fertigungslinie 10.000 Schritte zurückgelegt haben, wir haben es also eher mit einem Hindernis zu tun“, erklärt Andreas Holtermann, Erstautor der Studie.

Zwar hat die Studie nicht nach den Gründen für die gegensätzlichen Assoziationen von körperlicher Betätigung in der Freizeit oder im Beruf gesucht, doch der Autor fährt fort: „30 Minuten schnelles Gehen sind der Gesundheit zuträglich, denn sie erhöhen die Herzfrequenz und verbessern die kardiorespiratorische Fitness, während körperliche Belastung im Beruf die Herzfrequenz häufig nicht genug erhöht, um die Fitness zu verbessern. Darüber hinaus ist eine Tätigkeit, bei der mehrere Stunden am Tag Gegenstände gehoben werden und der Blutdruck stundenlang hoch ist, mit dem Risiko für Herzkrankheiten verbunden ist, während kurze intensive Sporteinheiten in der Freizeit den Blutdruck nur kurzzeitig nach oben treiben.“

Andreas Holtermann schlägt vor, die Arbeit so umzuorganisieren, dass sie die positiven Wirkungen körperlicher Betätigung in der Freizeit nachempfindet. Derzeit werden verschiedene Ansätze erprobt, zum Beispiel die Rotation der Arbeitsaufgaben an einer Fertigungslinie, so dass die Mitarbeiter während der Arbeitszeit eine „gesunde Kombination“ aus sitzenden und stehenden Tätigkeit ausführen und öfter aufstehen. In einer weiteren Studie spielen die MitarbeiterInnen in der Kinderbetreuung zusammen mit den Kindern, anstatt sie nur zu beaufsichtigen, so dass sie ihre Herzfrequenz und die körperliche Fitness verbessern. „Wir versuchen, die Aufgaben zu variieren, Zeit für Erholung zu einzuplanen und die Herzfrequenz zu erhöhen, so dass sowohl die Fitness wir die Gesundheit verbessert werden“, erklärt er.

„Unsere Gesellschaft braucht Erwachsene, die ausreichend gesund und fit sind, um länger zu arbeiten, da das Renteneintrittsalter steigt. Wir müssen Wege finden, damit körperliche Arbeit der Gesundheit zuträglich ist“, schließt Holtermann.

Quelle

Holtermann A et al. The physical activity paradox in cardiovascular disease and all-cause mortality: the contemporary Copenhagen General Population Study with 104 046 adultsEur Heart J 2021; 42 (15): 1499-1511.