Dem mit dem englischen Ausdruck Patient Engagement bezeichneten Konzept wird im Gesundheitswesen immer mehr Beachtung geschenkt. In den letzten Jahrzehnten konnte ein tiefgehender Wandel der Pflegemodelle in Richtung einer immer stärkeren Betonung der Rolle des Menschen beobachtet werden, der als aktives Subjekt und „Experte“ innerhalb des klinisch-pflegerischen Prozesses angesehen wird. Auf der anderen Seite haben die Gesundheitssysteme mit Menschen zu tun, die eine immer aktivere Rolle in allen Phasen des Gesundheitsprozesses spielen und alle Optionen der Behandlung und ihre Vorteile und Risiken kennen möchten. Aber obgleich ForscherInnen und KlinikerInnen darin übereinstimmen, dass die Mitwirkung der Patienten und Patientinnen gefördert werden sollte, besteht bis heute kein Konsens über die geeigneten Strategien und Instrumente, um dieses Ziel zu erreichen. Es ist auch noch nicht ausreichend untersucht worden, wie PatientInnen und Beschäftigte im Gesundheitswesen die Faktoren, die eine Einbeziehung der PatientInnen fördern oder behindern können, bewerten und zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine eindeutigen Empfehlungen zu den wirksamsten Maßnahmen. Ausgehend von diesen Voraussetzungen haben die Università Cattolica in Mailand und die Region Lombardei, begleitet von der methodologischen Supervision des Istituto Superiore di Sanità eine Konferenz mit dem Titel: „Empfehlungen für eine vermehrte Mitwirkung der PatientInnen mit chronischen Krankheiten im klinisch-ambulanten Bereich“ organisiert, die eine Gelegenheit für den Austausch und die Diskussion von ExpertInnen aus verschiedenen klinischen und institutionellen Bereichen und den VertreterInnen von Patientenorganisatoonen darstellte, mit dem Ziel, vorbildliche Verfahren und wirksame Instrumente zur Förderung des Patient Engagements zu entwickeln.
Eine Zusammenfassung der Empfehlungen
- Das Patient Engagement ist im klinisch-pflegerischen Bereich chronischer Krankheiten ein inklusives Konzept, das anderen Konzepten übergeordnet ist, darunter: Adherence, Compliance, Empowerment, Activation, Health literacy, Shared decision making. Es handelt sich beim Patient Engagement um einen komplexen Prozess, der aus der Verbindung unterschiedlicher Bereiche und Faktoren individueller, relationaler, sozialer, organisatorischer, ökonomischer und politischer Natur, die das Umfeld der betroffenen Person bestimmen, hervorgeht.
- Die Bezugspersonen aus dem familiären oder sonstigen Umfeld spielen eine entscheidende Rolle im Prozess der Mitwirkung.
- Die Bewertung des Engagements aller am pflegerischen Prozess beteiligten Akteure (Menschen mit chronischer Krankheit, Bezugspersonen, medizinische Fachkräfte und soziales Umfeld) stellt einen wichtigen Faktor dar, um die Effizienz und Wirksamkeit der klinisch-pflegerischen Maßnahmen zu verbessern.
- Es ist notwendig, dass die medizinischen Fachkräfte und das Gesundheitssystem für die Patientenmitwirkung sensibilisiert und spezifische Kompetenzen weiterentwickelt werden.
- Die Technologie kann den Prozess der Patientenmitwirkung unterstützen und andere, nicht technologische Strategien ergänzen, jedoch nicht die therapeutische Beziehung ersetzen.
- Von der Mitwirkung der PatientInnen sind folgende Ergebnisse zu erwarten: den Menschen fällt es leichter, sich um ihre Gesundheit zu kümmern; Verbesserung der klinischen Ergebnisse; Verbesserung der Lebensqualität und Reduzierung der Gesundheitskosten; bessere Integration und Kontinuität der gesundheitlichen und soziale Prozesse. Allerdings finden sich bezüglich der Ergebnisse in der wissenschaftlichen Literatur bis jetzt nur wenige Belege, die überdies unter methodologischen Schwächen leiden.
- Weitere qualitativ hochwertige Studien zur Bewertung der Wirksamkeit der Methodologien und der Auswirkung des Patient Engagement auf das Gesundheitssystem und die klinisch-pflegerische Praxis sind notwendig.
Das aus der Konferenz hervorgegangene und in Recenti Progressi in Medicine veröffentlichete Konsensdokument umfasst ein Glossar mit den Schlüsselbegriffen der partizipativen Medizin sowie ein Glossar der wichtigsten Ansätze und Methodologien für eine bessere Patientenmitwirkung.
Quelle:
CCIPE Working Group. Promozione del patient engagement in ambito clinico-assistenziale per le malattie croniche: raccomandazioni dalla prima conferenza di consenso italiana. Recenti Prog Med 2017;108(11):455-75.