Sag mir, wer du bist und ich sage dir, welche Epidemie du bekommst

Die Heterogenität einer Bevölkerung ist ein Faktor, der bei einer Epidemie das Erreichen einer frühen Herdenimmunität begünstigt. Zu diesem Schluss gelangt eine Gruppe von deutschen WissenschaftlerInnen, die dem Thema eine Studie gewidmet hat.

Angesichts einer sich schnell ausbreitenden Epidemie, wie im Fall des neuen Coronavirus, geht man normalerweise davon aus, dass die Mehrheit der Bevölkerung infiziert werden muss, damit Herdenimmunität erreicht wird und die Epidemie abflacht. Die Einschätzung, wann die Schwelle dafür erreicht ist, beruht im Allgemeinen auf Modellen, die annehmen, dass alle Individuen einer Bevölkerung identisch sind. WissenschaftlerInnen am Max Planck-Institut für Physik in Dresden haben dagegen mit einem neuen Modell gezeigt, dass die Herdenimmunität früher erreicht wird, wenn einige Individuen sich leichter infizieren als andere.

Viele Epidemie-Modelle beruhen auf der Annahme, dass die Individuen einer Bevölkerung im Wesentlichen identisch sind. In der realen Bevölkerung unterscheiden sich jedoch alle Menschen. So haben manche eine geringere Wahrscheinlichkeit, sich beim Kontakt mit einem Infizierten anzustecken, etwa aufgrund eines besseren Immunsystem oder effizienteren Hygieneverhaltens.

Das Team um Frank Jülicher vom Max Planck Institut für die Physik komplexer Systeme hat den Einfluss dieser Heterogenität auf die Verbreitung einer Epidemie untersucht. Wenn sich Individuen hinsichtlich ihrer Anfälligkeit für eine Infektion unterscheiden, infizieren sich prinzipiell die Anfälligsten zuerst. Dadurch kommt es zu einem starken Anstieg der Infektionen zu Beginn einer Epidemie. Allerdings wird der hoch anfällige Teil einer Bevölkerung bald immun oder stirbt. Also sinkt die durchschnittliche Anfälligkeit für das Virus in der noch nicht infizierten Bevölkerung. Die Folge ist eine Verlangsamung des Infektionsgeschehens und eine die Herdenimmunität wird früher erreicht als anfänglich vermutet.

Das heißt, dass eine heterogene Bevölkerung auch dann eine Herdenimmunität erreichen kann, wenn nur eine Minderheit immun ist. Im Gegenteil tritt die Herdenimmunität in einer sehr homogenen Bevölkerung erst dann ein, wenn die Mehrheit immun ist.

Nach dem Modell der Dresdner ForscherInnen, können verschiedene Szenarien den gleichen epidemischen Verlauf hervorbringen. Zwei Epidemien, die unterschiedliche Stufen von Heterogenität, aber auch Unterschiede bei der Wirksamkeit der Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens aufweisen, können de facto den gleichen zeitlichen Verlauf haben. in einer homogenen Bevölkerung spielt die Immunität eine wesentliche Rolle und wirkt sich erst dann auf die Infektionsrate aus, wenn ein großer Teil der Bevölkerung immunisiert ist.

Ein frühzeitiger Rückgang der Infektionen wäre folglich nur durch andere Faktoren wie zum Beispiel die Maßnahmen zur Eindämmung zu erklären. Im Gegenteil kann es bei einer sehr heterogenen Bevölkerung auch dann zu einer signifikanten Verminderung der Ansteckungen kommen, wenn nur ein kleiner Teil der Bevölkerung immun geworden ist.

Hieraus kann sich also ein anderer Blickwinkel auf die Phasen einer Epidemie ergeben. Ein früher Rückgang der Infektionsrate ist nicht unbedingt nur auf die Maßnahmen zur Eindämmung zurückzuführen, sondern könnte auch davon abhängen, dass eine (heterogene) Bevölkerung sich der Herdenimmunität nähert. Wenn es also darum geht, die Maßnahmen zu bewerten, sollte der „Faktor Heterogenität“ einer Bevölkerung nicht vernachlässigt werden.

Quelle

Neipel J et al. Power-law population heterogeneity governs epidemic waves. PLoS ONE 2020;15(10):e0239678.